Der Österreicher Anton Knoll und der Mongole Jagdal Bat-ochir präsentieren eine Neuübersetzung der Geheimen Geschichte der Mongolen
Rezension von Dr. Franz Greif:
2022 gab die Buchschmiede der Dataform GmbH in Wien unter diesem Titel eine Neuübersetzung der Geheimen Geschichte der Mongolen heraus. Die Bearbeiter sind ein mongolischer Übersetzer und Touristiker, der sich in der Kulturgeschichte des Landes auskennt, und ein Klassischer Philologie und Theologe aus Österreich, der von der Lebens- und Denkweise der nomadischen Gesellschaft beeindruckt ist.
Diese Textsammlung, eine ungewöhnliche Mischung verschiedener literarischer Formen, wollten die Autoren möglichst ursprungsgetreu als älteste Quelle zum Leben Tschinggis Khans wiedergeben. Sie besteht aus historischen Beschreibungen, legendenhaften Episoden, rechtlichen Normen und dichterischen Huldigungen, daneben wurden darin aber auch aus mündlicher Tradition stammende Stereotype, Metaphern und Ausdrucksweisen der Nomaden festgehalten.
Vergleicht man diese Neuerscheinung mit anderen Versionen der Geheimen Geschichte – etwa mit der von Manfred Taube im Verlag C.H. Beck 1989 herausgegebenen* – so versteht man sie als Übersetzung, die mit einem einfacheren, daher vielleicht der Wirklichkeit näheren Stil breitere Leserschichten im deutschen Sprachraum ansprechen möchte. Dies führt möglicherweise zu einem besseren Verständnis der beschriebenen historischen Ereignisse, wozu auch eine sprachliche Verkürzung (insges. geschätzt um ein Drittel gegenüber anderen Übersetzungen) beitragen mag. Freilich ist bei jeder Vorgangsweise schwerlich zu vermeiden, dass der literarische Ausdruck, den eine solche Textsammlung zugleich verkörpert, stark verändert wird. Denn dieser beruht auf einer Sprache von hohem künstlerischem Anspruch, die „zwischen sachlicher Schilderung und lyrischer Betrachtung wechselt, Lob-, Preis-, Hochzeits- und Klagelieder präsentiert und mit Sprüchen, Redewendungen oder Schwurformeln Personen und ihre Beziehungen zueinander charakterisiert, was dem Werk besondere Spannung und Lebensnähe verleiht“ (so M. Taube).
Es ist sicherlich kein leichtes Unterfangen, literarisch formulierte Ereignisse oder Sachverhalte aus dem Mongolischen – einer suffizierenden Sprache – ins Deutsche oder Englische zu übertragen. Vor allem lassen im Original meist kürzere stilistische Formulierungen vielerlei Varianten zu, die in der Übersetzung weitaus „blumiger“ ausfallen können, als in der Ausgangssprache. Dazu trägt auch der Versuch bei, mongolische Begriffe oder Beschreibungen in vergleichbar „sprichwörtlicher“ oder „typischer“ Ausdrucksweise wiederzugeben. Das wollten die Übersetzer offenbar vermeiden, was Anerkennung verdient. Der mongolische Übersetzer war auch unzufrieden mit manchen unkorrekten Passagen in bisherigen Ausgaben, er fand mitunter gravierende Fehler, falsche Ausdeutungen von Herrschaftszeichen oder Riten, was er verbessern wollte. Auch findet er eine wörtliche Übersetzung von Ortsnamen in andere Sprachen nicht richtig, sondern will sie als Namen im Original beizubehalten.
Ein weiterer Punkt ist die Transkription der mongolischen Schrift, was ebenfalls nicht einfach ist. In dieser Ausgabe fiel die Wahl auf eine – verglichen mit anderen Ausgaben – schlichtere Lautwiedergabe in möglichst einheitlicher Form. Tatsächlich gibt ja im Mongolischen die Aussprache die geschriebenen Laute (v.a. Vokale) oft ganz unterschiedlich wieder.
Mit dieser Neuausgabe der Geheimen Geschichte der Mongolen wird das älteste und zugleich bedeutendste literarische Denkmal der Mongolen wieder bibliographisch verfügbar. Es bringt uns nicht nur einen der größten Feldherren und fähigsten Organisatoren der Geschichte in Neufassung näher, sondern trägt auch zur Verbreitung eines gerechteren Bildes Tschinggis Khans bei. Denn für die Periode seines politischen Schaffens – die „schreckliche Mongolenzeit“ – haben viele bis heute eher furchterregende Reminiszenzen übrig. In Wirklichkeit aber war sie (so Bert Fragner) ein Höhepunkt an kommunikativer Vernetzung, was in Eurasien bis heute typische Phänomene hinterließ. Dazu gehören z.B. aus dieser Zeit stammende administrative Maßnahmen im islamischen Vorderasien, Reformen im Währungswesen (etwa durch Papiergeld), oder die Kenntnis vom Buchdruck. Sie alle stammten aus China. Hieraus ergibt sich, dass die Geschichte Asiens, die durch ein Jahrtausende währendes Zusammenspiel statischer Randkulturen mit dynamischen und beweglichen Kräften der asiatischen Mitte charakterisiert ist, ganz besonders durch das innovative 13. Jahrhundert geprägt wurde.
Die eigene Transkription, welcher sich diese Neuausgabe bedient, kann nicht weiter kommentiert werden. Zwei erläuternde Verzeichnisse (Namen, Begriffe sowie Ortsnamen) tragen zum Verständnis bei, desgleichen Fußnoten, die auch zahlreiche Querverweise zu Literaturstellen geben. Fußnote 51 (S. 91) erklärt z.B. die Bedeutung des alten, aber kaum noch bekannten Längenmaßes „Klafter“, was wir erwähnenswert finden. Es ist bei uns ein Grundbegriff für die Entwicklung von Katasterplänen, die bis heute verwendet werden.
Die Österr.-mongol. Gesellschaft erachtet Erarbeitung und Herausgabe dieses Buches als sehr verdienstvoll und dankenswert und kann es dem am Thema „Mongolei“ interessierten Publikum zur Lektüre empfehlen.
*Interessant ist auch ein vergleichender Blick in die Übersetzung „The Secret History of the Mongols“ von Urgunge Onon, hgg. durch den mongolischen Verlag „Bolor Sudar“.
Aus der Beschreibung des Verlags:
„Lange Zeit verboten und verschollen ist die Geheime Geschichte der Mongolen eine der ältesten Quellen für das Leben Chingis haans. Von den mythischen Anfängen über schicksalshafte Widrigkeiten und Wendungen bis zu Eroberung und Organisation eines Weltreiches erlebt der/die Leser/in die Welt der Nomaden des 13. Jahrhunderts. Diese Neuübersetzung durch einen Mongolen lässt auch erkennen, was den Zerfall des Riesenreiches und die darauf folgenden Jahrhunderte bis heute überlebte. Der Titel „Der Wille des Ewigen Himmels“ wurde gewählt, weil sich Chingis haan als „Begünstigter des Ewigen Himmels“ von oben geleitet versteht und damit wesentlich seinen Machtanspruch rechtfertigt. 1240 wurde das Original vollendet und bei der Reichsversammlung unter Kaiser Ögedei, dem Sohn und Nachfolger Chingis haans, verlesen. Uns heute bietet das Werk mit dem Blick auf das „Fremde“ die Möglichkeit, das „Eigene“ zu reflektieren und das „Gewordene“ in der Gegenwart besser zu verstehen.“
Zu beziehen über die Buchschmiede.