Von Karin Markvica, Wien
Ulaanbaatar hat in vielerlei Hinsicht eine interessante Entwicklungsgeschichte hinter sich. Es wurde, anders als andere Städte, nicht an einem bestimmten Standort gegründet, sondern als wandernde Zeltstadt, die dem buddhistischen Religionsoberhaupt als Sitz diente. Dies geschah um das Jahr 1639 unter dem Namen „Örgöö“ (d.i.: Prunkzelt), mit Ausgangspunkt abseits des heutigen Standorts in der Provinz Arkhangai (Campi 2006). Es ist überliefert, dass diese mobile Klosterstadt nur aus Jurten bestand und in den folgenden 139 Jahren zwischen 25 und 40 Mal den Standort wechselte (Schenk 2006).
1. Stadtgeschichte
Insgesamt wurde der Stadtname viermal geändert. Der erste Namenswechsel erfolgte im Jahr 1706 in „Ikh Khuree“ (Großes Kloster). Mit dem Bau des ersten Holztempels im Jahr 1778 an einer Handelsstraße kam es nicht nur zu einer permanenten Ansiedlung am heutigen Standort von Ulaanbaatar, sondern genauso zu einem Namenswechsel in „Ikh Khuree Khot“ (Stadt des großen Klosters). Um das Jahr 1880 bestand die Ansiedlung aus einem zentralen Palastviertel mit Hauptkloster, das von einem Gerkranz1 umgeben war.
Von 1911 bis 1924 wurde die Stadt „Niislel Khuree“ (Residenzkloster) genannt, bevor sie schließlich in „Ulaanbaatar Khot“ (Stadt des roten Helden) unbenannt wurde. Erwähnenswert ist, dass die ursprüngliche Bezeichnung „Örgöö“ (oft auch „Urga“ geschrieben) bis ins 20. Jahrhundert kursierte und erst 1924 vom heutigen Namen abgelöst wurde (Schenk 1994, Barthel 1990).
Mit der Gründung der Mongolischen Volksrepublik im Jahr 1924 kam es zu großen Veränderungen im Stadtbild, u. zw. infolge einer Modernisierung der Stadt nach sowjetischem Vorbild, die mit Zerstörung alter Bausubstanz einherging. Diese Modernisierungswelle erfolgte wegen fehlenden Kapitals jedoch eher zögerlich, sodass zuerst Regierungsgebäude und öffentliche Einrichtungen errichtet wurden. Mit sowjetischer Unterstützung folgten bald auch Industriebetriebe und erste Wohngebäude.
2. Stadtentwicklungsplanung
Wenngleich ab dem Jahr 1926 ein Baukomitee eingesetzt wurde, um unkontrollierter Bautätigkeit Einhalt zu gebieten, gab es vor 1954 kein strategisches Planungs-instrument, das die Stadtentwicklung hätte lenken können. Der erste Generalplan für die Stadt wurde 1954 von russischen Fachleuten erstellt. Ihm folgten bis heute fünf weitere Generalpläne. Chinbat et al. (2006) unterscheiden demnach bei der Stadtentwicklung von Ulaanbaatar verschiedene Phasen, die der Umsetzung der Generalpläne entsprechen (siehe Abb. 1).
Die Generalpläne als Instrument der Stadtentwicklung wurden vorwiegend von ausländischen Fachleuten erstellt, zuerst von russischen, ab der Jahrtausendwende und mit japanischer Unterstützung von mongolischen Expert*innen. Hervorzuheben ist, dass die ersten beiden Generalpläne (1954 und 1961) auf einer unvollständigen Erhebung der Standortbedingungen basierten; erste umfassende wissenschaftliche Untersuchungen fanden erst zwischen 1965 und 1975 statt. Bei der Erstellung des dritten und vierten Generalplans konnten die russischen Expert*innen immerhin auf dafür erstellte kartographische Materialien, ingenieurwissenschaftliche und geologi-sche Untersuchungen zurückgreifen. Der fünfte Generalplan aus dem Jahr 2000 wurde erstmals von mongolischen Fachleuten entwickelt.
Es folgte eine Zusammenarbeit mit japanischen Expert*innen, die schließlich in das Konzept von Planungszonen mündete, die im sechsten Generalplan (er wird auch als „Masterplan“ bezeichnet) aus dem Jahr 2010 verortet wurden. Mit dessen Umsetzung wurde im Jahr 2013 begonnen, mit dem Zielhorizont 2020. In der Zwischenzeit wurde seine Gültigkeit bis zum Jahr 2030 verlängert.
3. Stadtstruktur, Hauptrelationen und Stadtelemente
Durch unterschiedliche Einflüsse in ihrer Entwicklungsgeschichte hat die Stadtstruktur von Ulaanbaatar einige Eigenheiten. Die Hauptstadt der Mongolei verfügt über ein Stadtzentrum mit ursprünglicher Ausrichtung nach Süden, die mittlerweile durch Bebauung nur mehr schwer zu identifizieren ist. Diese südliche Öffnung ist der Ausrichtung von Jurten nachempfunden, bei denen der Eingang immer südseitig ist. Im Stadtzentrum sind wichtige Verwaltungs- und Kulturgebäude zu finden. Es wird gegenüber der weiteren Innenstadt durch einen Halbbogen (Baga toirog) abgegrenzt. Ein zweiter Bogen (Ich toirog) schließt die weitere Innenstadt ein, die ebenfalls Gebäude mit überregionaler Bedeutung umfasst, aber genauso Wohnbebauung, Geschäfte, Gastronomie und Konzernzentralen. Daran angrenzend findet man überwiegend Wohnbebauung. Südwestlich der Innenstadt und der anschließenden Wohngebiete ist die Industrie konzentriert. Ganz im Osten und Westen findet man die Warenhäuser. Informelle Siedlungen schließen nahtlos an das Stadtgebiet, stark konzentriert im Norden, doch auch im Osten und Süden (siehe Abb. 2).
Durch Gebirgszüge, Naturschutzgebiete und den Fluss Tuul sind der Ausdehnung der mongolischen Hauptstadt natürliche Grenzen gesetzt. Stadtentwicklung passierte daher vorwiegend entlang der Ost-West-Achse und teilweise südlich des Flusses. Die Hauptrelationen verlaufen daher ebenfalls auf dieser Achse, was regelmäßig zu einen Verkehrschaos führt, da Verkehre kaum den Hauptrelationen ausweichen können.
Ulaanbaatar ist durch die Einflüsse seiner Nachbarländer Russland und China und die eigene Kultur ein Schmelztiegel verschiedener Stadtelemente. Als typisch mongolisch werden von Mongol*innen die Ausrichtung des Stadtzentrums nach Süden, die buddhistischen Tempel und die informellen Siedlungen (Gerbezirke) angesehen (siehe Abb. 3).
Es findet sich eine Reihe von russisch-sowjetischen Stadtelementen in der mongolischen Hauptstadt, insbesondere im Stadtzentrum. Zu den wichtigsten zählen das Naturhistorische Museum, der ehemalige Military Club, das Zanabazar Museum of Fine Arts und das Parlament (siehe Abb. 4).
Chinesisch-tibetische Stadtelemente findet man vor allem in Form von Tempeln oder Pavillons in Parks. Besonders eindrucksvoll sind das Gandantenchinleg Kloster und das Choijin Lama Museum, das früher als Tempel genutzt wurde (siehe Abb. 5).
Zur jüngeren Stadtentwicklung zählen insbesondere Hochhäuser (u.a. Blue Sky Tower, Central Tower), sowjetisch angehauchte Wohnbebauung (z.B. Golomt City) und gänzlich im westlichen Stil geplante Stadtviertel (Viva City u.a.). Ebenso erkennt man mittlerweile einen Hang zu Luxusprojekten wie der Gated Community „Zaisan Villa“ südlich des Flusses Tuul.
4. Stadtvision und Umsetzung „UB-2020“
Die Vision für Ulaanbaatar mit dem Titel „UB-2020“ umfasst ein Planungszonen-modell, das vier Stadtbereiche mit unterschiedlichen Zielen und Maßnahmen vorsieht. Die Vision wurde ursprünglich für die Zeit bis 2020 beschlossen, mittlerweile jedoch bis zum Jahr 2030 verlängert und steht im Einklang mit dem regionalen Entwicklungskonzept für die Ulaanbaatar Region und vier weitere Regionen.
Neben diversen Maßnahmen zur Hebung der Lebensqualität in den einzelnen Stadtbereichen (Begrünungen, Absiedlung von gesundheitsschädigenden Fabriken, etc.) ist vor allem die Schaffung eines zweiten Stadtzentrums erwähnenswert, das unter dem Motto „Neues Jahrhundert – neue Stadt“ steht (siehe Abb. 6). Diese Dezentralisierung soll das Stadtzentrum nach europäischem Vorbild entlasten (Gotov 2014, Chinbat 2014).
Der Genehmigungsprozess des Generalplans ist gut strukturiert und bindet verschiedene Stellen ein, um hohe Qualität zu ermöglichen. Der Vorschlag für UB-2020 erging zur Begutachtung vom Urban Planning, Research and Design Institute der Stadt zur Bürgermeister Großversammlung. Danach kam es zu einer Begutachtung im Stadtrat und einer Bearbeitung und Prüfung durch das Ministerium für Bau- und Stadtentwicklung. Weitere Bearbeitung und schließlich Genehmigung oblag der Regierung. Mit der Umsetzung ist die Master Planning Agency of Capital City betraut, somit eine Abteilung, die nicht im Genehmigungsprozess eingebunden war und relativ unabhängig agieren kann.
Eine Schwachstelle bei der Umsetzung des Generalplans ist die Evaluierung durch die Master Planning Agency of Capital City. Diese folgt noch keinem etablierten Prozess. Hierzu gab es bereits internationalen Austausch, da die Umsetzung ohne Evaluierung nicht kontrolliert werden kann und somit unrechtmäßige Widmungen oder sonstige Verfehlungen nicht aufgedeckt werden können.
5. Herausforderungen der Stadtentwicklungsplanung
Eine wesentliche Herausforderung der Stadtentwicklungsplanung in Ulaanbaatar war neben der fehlenden Expertise der Mongol*innen in diesem Bereich und die dadurch entstandene Abhängigkeit von ausländischen Expert*innen, die starke Bevölkerungs-zunahme. Ulaanbaatar erlebte ab Mitte des 20. Jahrhunderts einen rasanten Bevölkerungszuzug. Lag die Einwohnerzahl im Jahr 1955 noch bei rund 118.000 Personen, so stieg sie innerhalb von 50 Jahren auf das Achtfache und damit 946.907 Personen im Jahr 2005 (Barthel 1990, UN Data 2013). Bereits zwei Jahre später zählte die mongolische Hauptstadt mehr als eine Million Einwohner*innen und heute wird die Zahl auf über 1,5 Millionen geschätzt, da die letzten Bevölkerungsdaten aus dem Jahr 2017 bereits knapp unter dieser Zahl lagen. Somit lebt beinahe die Hälfte aller Mongol*innen (rund 3,2 Millionen laut CIA 2020) in der Hauptstadt.
Mit einem derart gewaltigen Zuzug hatte die Stadtverwaltung nicht gerechnet und sämtliche Generalpläne waren hinsichtlich der Bevölkerungsprognose bereits bei der Veröffentlichung überholt. Durch den Eintritt in die freie Markwirtschaft und den damit verbundenen freien Personenverkehr und die freie Wohnsitzwahl wurde ungebremster Zuzug ermöglicht. Gleichzeitig stand der Stadtverwaltung kaum Budget für Planungen zur Verfügung, und im Zeitraum 1990 bis 2000 wurden Baugenehmigungen vergeben, ohne dass es Planungskriterien gegeben hätte. Das wurde von inländischen und ausländischen Investoren ausgenutzt, um imposante Bauwerke in „Tabu-Zonen“ wie dem Bereich südlich des Stadtkerns zu errichten. Herausforderungen ergaben sich in erster Linie durch den fehlenden Wohnraum und die Kapazitäten der sozialen Einrichtungen und kommunalen Ver- und Entsorgung (siehe Tab. 1).
Die Wohnraumproblematik wurde von den Zugezogenen selbst pragmatisch gelöst, indem sie sich in Gers ansiedelten und von ihrem Rechtsanspruch auf Land Gebrauch machten. Diese Ansiedlungen wuchsen zu informellen Siedlungsgebieten, die zwar relativ regelmäßige Strukturen aufweisen und mit Wegen zwischen den Grundstücken ausgestattet sind, jedoch nicht an das Kanal-, Wasser-, Strom- oder Fernwärmenetz angeschlossen sind. Zudem sind Besiedlungen in gefährlichen Hanglagen, ohne Abfallentsorgungsmöglichkeit und fernab des öffentlichen Verkehrssystems keine Seltenheit. Vor allem NGOs sorgten in einem ersten Schritt für die Verbesserung der Lebensumstände, beispielsweise durch Wasserausgaben und Badehäuser.
Im Zeitraum 1986 bis 2000 wurden zusätzlich 411 Hektar formelle Wohngebiete errichtet, die einer Zunahme von informellen Siedlungen um 1.399 Hektar gegenüberstehen (Radnaabazar et al. 2004; siehe Abb. 7). Neben den genannten Problemen in den Wohngebieten fehlt es in Ulaanbaatar an Kindergarten- und Schulplätzen (Tvrdik 2014) und ausreichend Arbeitsplätzen, was die Situation der Zugezogenen noch schwerer macht. Als Gegenpol zu diesen eher ärmlichen und teilweise mittelständischen Gegenden wurden Luxusprojekte im Sinne von Gated Communities verwirklicht, die sich zumeist am Stadtrand befinden.
6. Zusammenfassung
Es kann festgehalten werden, dass die Entwicklung von Ulaanbaatar sehr rasant verlaufen ist und verläuft. Die rasche und anhaltende Urbanisierung stellt die Stadtverwaltung vor enorme Herausforderungen, wie informelle Siedlungen und damit einhergehende Umweltauswirkungen und Anforderungen an soziale Einrichtungen und den Arbeitsmarkt. Abhängigkeit von Investor*innen, die oftmals aus dem Ausland kommen, gepaart mit rechtlichen Lücken hat zu massiven Veränderungen im Stadtbild geführt. Neben Hochhäusern in der Innenstadt sind Gated Communities in direkter Nähe zu Naturschutzgebieten Ausdruck unzureichend kanalisierter Stadt-entwicklungen abseits der Jurtensiedlungs-Problematik. Neben Wohnraumschaffung und dem Ausbau sozialer Einrichtungen und kommunaler Ver- und Entsorgung ist die Überwachung der Siedlungstätigkeit durch geeignete Evaluierungsinstrumente notwendig, um die Lebensqualität der Bewohner*innen nachhaltig zu sichern.
7. Quellen
Barthel, H. (1990): Mongolei – Land zwischen Taiga und Wüste. Geographische Bausteine, Neue Reihe, Heft 8. Kartographisch-Geographische Anstalt Gotha.
Campi, A. (2006): The Rise of Cities in Nomadic Mongolia. In: Brunn, O.; Narangoa, L.: Mongols. Mongols from Country to City: Floating Boundaries, Pastorialism and City Life in the Mongol Lands. Nordic Institute of Asian Studies. S. 21-55.
Chinbat, B. (2014): ExpertInneninterview am Department of Urban Planning and Land Management der School of Geography and Geology an der National University of Mongolia am 14.08.2014 in Ulaanbaatar.
Chinbat, B. et al. (2006): Investigation of the internal structure changes of Ulaanbaatar city using RS and GIS. Paper presented at the ISPRS Mid-term Symposium, ITC. Enschede, The Netherlands.
CIA (2020): The World Fact Book. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/mg.html, Zugriff 03.01.2021.
Gotov, N. (k. A.): The Ulaanbaatar City Urban Planning Policy and UB City „Master Plan“ up to 2020. Urban Planning, Research and Design Institute. Ulaanbaatar City Government. Link: http://www.cdia.asia/wp-content/uploads/master-plan.pdf, Zugriff 21.02.2014.
Gotov, N. (2014): ExpertInneninterview am Urban Planning and Design Institute of Ulaanbaatar City am 12.08.2014 in Ulaanbaatar.
Markvica, K. (2014): Ulaanbaatar – die mongolische Hauptstadt im Spannungsfeld zwischen russisch-sowjetischem und chinesischem Kulturerdteil, Universität Wien.
Markvica, K. (2019): Grundlagen und Ergebnisse der Stadtentwicklung von Ulaanbaatar. Tagung der Österreichisch-Mongolischen Gesellschaft in Kooperation mit der Osterreichischen Orientgesellschaft und Weltmuseum Wien Friends, 22.05.2019. Wien.
Radnaabazar, G. et al. (2004): Monitoring the development of informal settlements in Ulaanbaatar, Mongolia. In: CORP 2004: Geo-Multimedia 04, meeting place for planners: proceedings of the 9th international symposium on information and communication technologies in urban and spatial planning and impacts of ICT on physical space: February 25-27, 2004. TU Vienna. S. 333-339.
Schenk, A. (2006): Mongolei. Beck. München.
Tvrdik, T. (2014): ExpertInneninterview am Standort der Flourishing Future Mongolia NGO am 20.08.2014 in Ulaanbaatar.
UN Data (2013): http://data.un.org/Data.aspx?d=POP&f=tableCode%3a240, Zugriff 21.02.2014.
DI Karin Markvica, MA erwarb Abschlüsse in Raumplanung und Raumordnung (TU Wien) und Geographie (Universität Wien). Im Zuge ihrer Masterarbeit an der Universität beschäftigte sie sich mit der kulturgenetischen Einordnung der Stadt Ulaanbaatar. Seit 2014 arbeitet sie als wissenschaft-liche Mitarbeiterin am AIT Austrian Institute of Technology.
Fußnoten
- Ger ist die mongolische Bezeichnung des Rundzelts der Nomaden, welches die Kasachen (u.a. türkische Volksstämme) Yurt nennen. [↩]